Toxische Positivität – ein viel diskutierter Begriff
Das „zwanghafte Suchen von positiven Dingen und Verdrängen negativer Emotionen nennt der Volksmund „toxische Positivität“. Damit sind genau die Menschen gemeint, die jedes Produkt und jede Lebenslage einem Optimierungsgedanken unterziehen und meinen, mit dem allseits beliebten Perspektivwechsel könne man auch die schwierigste Situation in etwas Gewinnbringendes ummünzen. Und genau jene sind es auch, die eine ganze Wissenschaft, die der Positiven Psychologie, und ernst gemeinten Ideen für mein Wohlergehen im Alltag, in Verruf bringen.
Hä, aber ihr verkauft das doch? Der Unterschied:
Durch das Essen von Glücksgummibärchen werden wir nicht zufriedener mit unserem Arbeitsplatz, durch den Einsatz unserer Stärken (die wir davor diagnostisch erfassen!) schon. Ein Abreiß-Kalender mit Motivationssprüchen hilft uns nicht, unser sportliches Ziel zu erreichen, eine soziale Verabredung zum gemeinsamen Laufengehen hingegen schon. Es gibt also einen Unterschied zwischen wissenschaftlich erforschten und erprobten Methoden, um das eigene Handeln zu gestalten und mehr Erfüllung zu erleben und einem konsumorientieren “Glücksdiktat”, das uns quasi auf Knopdruck ein besseres Leben verspricht.
Und wie geht das? Anerkennen statt Besserwissen:
Wer jetzt denkt: „Toxische Positivität- das kenn ich nicht“, darf sich selbst mal kritisch überprüfen. Denn Sätze wie „Sieh‘ es positiv“, „Wer weiß, wofür es gut ist“, „Alles wird gut“ oder „Ich kenne das“ wollen uns nur allzu leicht über die Lippen kommen. Auch wenn sie gut gemeint sind, verstärken sie den Druck und die negativen Gefühle unseres Gegenübers eher noch. Denn all diese Thesen verniedlichen die Schwierigkeiten des Anderen und lassen keinen Raum für „negative“ Emotionen wie Schuld, Angst, Wut oder Trauer. Dabei wissen wir aus unzähligen Studien: „Coping“, also der Umgang mit Problemen gelingt meistens dann, wenn wir auch schwierige Situationen anerkennen und würdigen. Statt allgemeingültiger Floskeln helfen vor allem Fragen wie „Wie fühlt sich das an?“, „Was ist jetzt hilfreich?“ und „Was brauchst du?“ oder unterstützende Worte wie „Ich bin da.“ Auch wenn sich das zunächst viel passiver anfühlt, steckt weitaus mehr Kraft und Trost darin, als unser Gegenüber mit der Positivitäts-Keule niederzustrecken. Probiert es aus!
Worum es eigentlich geht: Akzeptanz & Gesunder Optimismus
Wie also gelingt der Balanceakt zwischen einer gesunden positiven Haltung und dem Anerkennen von schwierigen und negativen Emotionen?Zwei Schlüsselbegriffe helfen: Akzeptanz und Hoffnung.Der Ansatz, negativen Gefühlen, Situationen oder Lebenslagen erst einmal neutral zu begegnen hat seine Wurzeln im Achtsamkeitstraining. Auch therapeutische Richtungen, wie die „Acceptance-and Commitment-Therapy“ erkennen den Mehrwert. Indem wir uns von Wertungen wie „gut“ oder „schlecht“ trennen, lösen wir gesellschaftlichen Druck und schaffen Raum für Wut oder Trauer. Eine Alternative kann die Kategorie „hilfreich“ oder „nicht hilfreich“ sein- und die bringt uns oft weiter voran, denn vermeintlich „negative“ Emotionen sind auch hilfreich, in dem sie unsere Psyche gesund erhalten.
Das zweite Zauberwort lautet „Hoffnung“. Denn sie schlägt die Brücke zwischen Positivität und toxischer Positivität. Astrid Schütz: »Optimisten erkennen zwar, dass etwas negativ ist, aber sie haben die Hoffnung, dass es positiv ausgeht.« Hoffnung dient also als Strategie, Schwieriges anzuerkennen und gleichzeitig den generellen Optimismus aufrechtzuerhalten.
„Wir hoffen, es geht euch gut. Wenn nicht- auch okay!“
Mit diesem Satz begrüßen die Moderator:innen des Podcasts „Drinnies“ ihre Hörenden. Und greifen damit einen Trend auf, der sich gerade seinen Weg bahnt: Emotionen sind immer „gut“, denn sie sind der Katalysator unseres psychischen Systems. Entscheidend ist einzig und allein, was sich für euch stimmig und hilfreich anfühlt.
Quellen zum Artikel:
Fredrickson, B. L. (2001): The role of positive emotions in positive psychology: The broaden-and-build theory of positive emotions. American psychologist, 56(3), 218
Hayes, S. C., Strosahl, K. & Wilson, K. G. (2003, 29. Juli). Acceptance and Commitment Therapy: An Experiential Approach to Behavior Change: The Process and Practice of Mindful Change (New edition). Guilford Publications.
Seligman, M., Steen, T., Park, N., Peterson, C. (2005): Positive Psychology Progress: Empirical Validation of Interventions. The American psychologist. 60. 410-21. 10.1037/0003-066X.60.5.410