Mike und Birgit könnten unterschiedlicher nicht sein. Mike hat Reich geerbt und ist vor einem Jahr nach Ibiza gezogen, um sich eine Auszeit von dem „stressigen“ Leben in einer deutschen Großstadt zu nehmen. Seitdem führt er dort ein Leben wie im Schlaraffenland, gibt sein gesamtes Geld für Partys, Klamotten und Alkohol aus und macht die Nacht zum Tag. Seit einem Jahr besteht sein Leben im Prinzip nur aus Feiern, am Strand liegen, Essen, Schlafen, Autos… Eat, Sleep, Party, Repeat.
Birgit auf der anderen Seite kann all diesen Dingen wenig abgewinnen. Sie lebt in einem kleinen Vorort und verbringt den Großteil ihrer Zeit mit verschiedenen Ehrenämtern. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich als Küsterin der lokalen Kirche. Zusätzlich engagiert sie sich in verschiedenen Vereinen zum Umweltschutz und zur Flüchtlingshilfe und hilft von Zeit zur Zeit im Hospiz aus. Birgit ist eine Bereicherung für ihr Umfeld, sie hilft denen, die es dringendsten brauchen und hinterlässt die Welt ein kleines bisschen besser, als sie sie vorgefunden hat.
Was glaubst du, wer erfüllter ist in seinem Leben? Mike oder Birgit? Diese Frage hat eine ältere Geschichte als man zunächst vielleicht glaubt. Mike und Birgit stehen sinnbildlich für zwei unterschiedliche Traditionen in der Philosophie und Glücksforschung. Schon seit Jahrtausenden geht es dabei um die Frage: Was macht ein erfülltes Leben aus? Schon griechische Philosophen wie Aristoteles und Aristippos von Kyrene diskutierten diese Frage wurde vor rund 2000 Jahren. In jüngeren Jahren zerbrachen sich Psychologen und Psychiater wie Siegmund Freud, Abraham Maslow und Martin Seligman darüber den Kopf. Über die Zeit etablierten sich zwei Ansätze: der hedonistische und der eudaimonistische Ansatz.
Hedonismus – Leben um zu genießen
Der hedonistische Ansatz geht zurück auf die Philosophie des Hedonismus. Dabei geht es in erster Linie um die Maximierung positiver Gefühle und die Vermeidung von Stress. Es werden also alle Aktivitäten angestrebt, die uns kurzfristig positive Emotionen erleben lassen oder Stress reduzieren. Ob diese Aktivitäten dabei allerdings langfristig negative Folgen haben oder in einer anderen Art und Weise nicht nachhaltig sind, ist dabei erstmal egal. In diese Kategorie fallen also sowohl eine gute Massage, ein leckeres Stück Kuchen oder ein schöner Abend mit Freunden, aber genauso exzessive Partys oder Drogenmissbrauch – schließlich können diese Dinge uns kurzfristig gut fühlen lassen.
Diese Verhaltensweisen haben also oft kurzfristig positive Folgen (z.B. lernen wir bei solchen Tätigkeiten häufig neue Leute kennen oder laden unsere Akkus auf), können, wenn wir sie exzessiv betreiben, aber langfristig auch schädlich sein. Außerdem nutzen sich diese kurzfristigen Belohnungen allein schon aufgrund der Funktionsweise unseres Gehirns oft mit der Zeit ab. Deswegen fühlt sich Mike beispielsweise oft leer und antriebslos und braucht immer neue und immer aufregendere Partys, Frauen und Trips um sich weiter zu stimulieren.
Eudaimonismus – Leben für einen Sinn
Der zweite Ansatz ist an die Philosophie des Eudaimonismus angelehnt, die unter anderem auf Aristoteles zurückgeht. Dieser Ansatz nimmt eine langfristigere Perspektive ein und betont die Wichtigkeit von Konzepten wie Authentizität, Sinnempfinden, Exzellenz und persönlichem Wachstum. Das Glück entsteht hierbei dadurch, dass wir unsere Stärken und Tugenden in einer sinnvollen Tätigkeit einbringen, beispielsweise indem wir anderen helfen. Indem wir uns unserer tiefsten Werte bewusst werden und unser Leben danach ausrichten, selbst wenn das manchmal erfordert, die kurzfristige Belohnung liegen zu lassen. Und indem wir nicht nur opportunistisch unsere eigenen Ziele und Wünsche verfolgen, sondern uns als Teil eines größeren Ganzen sehen und zu dieser Gemeinschaft beitragen.
Während diese Perspektive langfristig sicherlich deutlich besser geeignet ist, um ein tiefes Gefühl von Erfüllung zu erlangen, kann ein solcher Lebensstil auf Dauer auch ziemlich zehrend und „trocken“ sein, wenn dabei hedonistische Aspekte zu kurz kommen. So sind Birgits Engagement und ihre Aufopferung für gute Zwecke sicherlich erstrebenswert und sie wird von vielen Leuten für ihren tugendhaften Lebensstil bewundert. Gleichzeitig kommen in ihrem Leben aber auch der Spaß, die schönen und angenehmen Momente zu kurz. Birgit könnte eigentlich gut mal wieder einen Urlaub gebrauchen und sehnt sich zurück an die ausgelassene Zeit während ihres Studiums.
Wie du siehst reicht weder der eine rein hedonistische, noch rein eudaimonistische Lebensweise alleine für ein glückliches Leben, insbesondere nicht, wenn diese Ansätze im Extremen praktiziert werden. Beide Ansätze haben ihre Daseinsberechtigung und sind in bestimmten Situationen mal mehr und mal weniger adaptiv.
Machen Tischkicker glücklich?
Während es bei den beiden Philosophien zunächst einmal um ein erfülltes Leben geht, haben sie auch wichtige Implikationen für das Berufsleben. Langfristig engagierte, produktive und glückliche Mitarbeiter finden beide Aspekte am Arbeitsplatz wieder. Aus hedonistischer Sicht ist es wichtig, dass wir auf unserer Arbeit Spaß haben, auch mal mit unseren Kollegen rumwitzeln und allgemein der Stress und die negativen Emotionen nicht langfristig auf einem hohen Level sind. Erst wenn unser Job aber auch eudaimonistische Aspekte beinhaltet, kann er langfristig wirklich erfüllend sein.
Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass das psychologische Wohlbefinden und Glück ihrer Mitarbeiter wichtig ist und beginnen, in diese Dinge zu investieren. Das ist an sich schon ein großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das Problem ist allerdings, dass ein Großteil dieser Feel-Good-Maßnahmen hauptsächlich hedonistische Aspekte in den Fokus rücken. Ein Tischkicker oder Hemdenbügelservice können den Arbeitsalltag „versüßen“ oder Stress reduzieren – dagegen ist an sich auch erstmal gar nichts einzuwenden. Oft helfen diese Maßnahmen aber nur oberflächlich und langfristig verbessert sich das Wohlbefinden und damit letztendlich auch die Produktivität der Mitarbeiter dadurch nur wenig.
Diese Maßnahmen setzen häufig nicht am Kern des Problems an, da sie die eudaimonistische Perspektive komplett außen vor lassen. Erst wenn ein Unternehmen beginnt, das Bedürfnis nach Sinn und Wirksamkeit bei seinen Mitarbeitern zu kultivieren, können diese sich auch im Hinblick auf eudaimonistische Aspekte weiterentwickeln. Dann lernen die Mitarbeiter ihre Stärken richtig einzusetzen, sie versuchen selbst, ein positives Klima in ihrem Team herzustellen und fangen an, sich für die Vision des Unternehmens zu begeistern und ihren Teil dazu beitragen zu wollen.
Eine langfristige Investition
Die eudaimonistische Perspektive bietet aber keine „Quick-Fixes“, wie sie viele Unternehmen gerne hätten. Denn wenn ein Tagesworkshop reichen würde, um ein tiefes Gefühl von Erfüllung und Sinnempfinden, von Exzellenz und Authentizität in der Belegschaft zu kultivieren, dann hätte diesen Workshop jedes Unternehmen schon seit langem umgesetzt.
Für diese Dinge erfordert es viel mehr, dass die Unternehmensführung mit den Mitarbeitern ins Gespräch geht, dass die Mitarbeiter den Raum bekommen, ihre Meinungen und Stärken einzubringen und dass jedem Mitarbeiter die Möglichkeit zu persönlichem und professionellem Wachstum gegeben wird. Diese Dinge erfordern Zeit und vor allem ein aufrichtiges Interesse der Unternehmensführung an dem Wohlergehen und der Erfüllung der Mitarbeiter. Ganz im Sinne des Eudaimonismus ist hier der Weg schon das Ziel.
Dass sich diese Investition aber lohnt und einen langfristigen Wettbewerbsvorteil bietet, zeigen Unternehmen wie die Hotelkette Uptalsboom eindrucksvoll. Noch wird von einer „Stillen Revolution“ geredet. Doch mehr und mehr Unternehmen erkennen das Potential hinter wirklich erfüllten und engagierten Mitarbeitern – und verstehen, dass dafür sowohl hedonistische, als auch die eudaimonistische Aspekte wichtig sind.