Vom Umgang mit einer furchtvollen Emotion
Ein Krieg mitten in Europa, explodierende Energiepreise und wieder steigende Inzidenzen einer Pandemie, die wir bis vor zwei Jahren nicht kannten. Junge Menschen haben Angst vor den Gefahren des Klimawandels. Ältere Menschen haben Angst vor nicht ausreichender Rente. Unternehmer haben Angst vor fehlendem Gas. Investoren haben Angst vor negativen Entwicklungen an der Börse. Es sind unsichere Zeiten, durch die wir uns im Moment bewegen. Viele Menschen, auch ich, fühlen sich verunsichert, blicken mit Fragezeichen und Zweifeln den kommenden Monaten entgegen.Gibt es einen weiteren Lockdown? Werden wir im Winter noch unbeschwert heizen? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Wir alle kennen das Gefühl, Angst zu haben. Immer wieder haben wir Angst und dennoch kann sie uns ganz schön lähmen. Daher widmen wir ihr heute gleich mal einen ganzen Artikel und fragen uns: was sind Ängste genau und wir können wir mit ihnen umgehen?
Woher kommt Angst?
„Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie“ (Erich Kästner)
So viel vorweg: Angst zu fühlen ist normal und sogar gesund. Neben Freude, Trauer und Anderen gehört sie zu den menschlichen Basisemotionen. In der Vergangenheit war Angst die Reaktion, die der Körper in einer Gefahrensituation gezeigt hat. Im klassischen Verhaltensmuster „Fight, flight or freeze“ ist sie im „freeze“ zuhause. Wir versuchen Situationen, die uns Angst machen, zu entkommen. Was aber, wenn die Situation auf einmal auf globaler Ebene stattfindet? Wir sind unserer Angst nicht machtlos ausgeliefert, sondern können auf eine ganze Reihe von Strategien zurückgreifen:
Vom Umgang mit der Angst
Das Bewältigen von Angst ist häufig eine Frage der Ressourcen. Wenn wir uns also von Gefühlen der Angst überwältigt fühlen, haben wir oft (noch) nicht genug Ressourcen zur Verfügung. Die gute Nachricht: häufig sind wir uns gar nicht darüber im Klaren, wer und was uns unterstützen kann. Hier findet ihr daher einige konkrete Strategien:
>Geteilte Menschlichkeit:Reden hilft. So simpel lässt sich eine der wirksamsten Strategien zum Umgang mit Angst aus dem Bereich der Achtsamkeit zusammenfassen. Denn viele von uns machen gerade ähnliche Erfahrungen-nur ehrlich gesprochen wird darüber selten. Also:mutig auf Andere zugehen und die eigenen Ängste thematisieren. Meistens finden wir damit Menschen, denen es genauso geht.
>Affect Labeling:Als „Affektkennzeichnung“ bezeichnet die Psychologie die Strategie, mit der wir uns innerhalb kürzester Zeit emotional regulieren können. Das geschieht ganz einfach dadurch, dass wir konkret unsere Gefühle benennen. „Die Situation in der Ukraine macht mir Angst, da ich nicht weiß, wie mein Unternehmen die wachsenden Energiekosten tragen kann“ ist zum Beispiel eine Möglichkeit, Gefühle konkret zu benennen. Die Forschung zeigt, dass es für uns häufig schon Erleichterung spricht, das, was in uns vorgeht, auszusprechen.
>“Allzweckwaffe“ Dankbarkeit:Was ist mir heute gut gelungen? Wofür bin ich dankbar? Was habe ich diese Woche Schönes erlebt? Reflexionsfragen wie diese leiten uns an, die positiven Dinge und Begegnungen in unserem Alltag anzuerkennen. Herausforderungen, Ängste und Sorgen rücken so häufig erst einmal in den Hintergrund.
>Positive Vorerfahrung nutzen:Unser Gehirn funktioniert in weiten Teilen wie eine Autobahn. Besonders gerne fahren wir auf den „bekannten“ Straßen. Umleitungen, Feldwege oder neue Straßen nehmen wir ohne Navigationssystem wirklich ungerne. In einer Situation der Angst finden wir uns plötzlich auf unbekannten Wegen wieder. Dann können wir uns fragen „Gab es schonmal eine ähnliche Situation, die ich gut gemeistert habe? Wenn ja, was habe ich getan?“ Häufig können wir aus ähnlichen Erfahrungen Vertrauen in die Zukunft oder auch konkrete Hilfestellungen ableiten.
>Individuelle Strategien identifizieren:Tagebuch schreiben, Joggen gehen, sich sozial engagieren, Ablenken, Yoga, Meditation, Atmen, Weinen, Fotos ansehen, Lesen, Telefonieren, Verreisen…Wie wir mit Sorgen und Nöten gut umgehen können, ist meistens genauso einzigartig wie unsere Persönlichkeit selbst. Hilfreich ist es daher, auf Entdeckungsreise zu gehen und herauszufinden, was mir persönlich Halt und Ablenkung gibt.
>Perspektive wechseln:Ist dein Glas halbvoll oder halbleer? Freust du dich gerade über ein leeres Büro in der Ferienzeit oder klebst du am Smartphone und verfolgst den Newsticker? Wie so häufig hilft es uns auch in ängstlichen Situationen, unseren Fokus zu verändern. Wenn auch nicht immer, dann immer wieder. Und das hat auch einen physiologischen Effekt: Damit entlasten wir nämlich unser zentrales Nervensystem und sorgen für Entspannung.
In einem Telefonat sagte vor ein paar Tagen jemand zum Thema Sorgen „Die Emotionen kommen mal zu Besuch und dann gehen sie auch wieder“. Ähnlich verhält es sich meistens (sofern nicht klinisch bedingt) auch mit unseren Ängsten. Und dass sie mal da sind, ist auch völlig okay.
„Tatsächlich habe ich viel weniger Angst, seit ich mich den Ängsten stelle.“ (Anaïs Nin)